Ich wurde in dem NDR-Programm “Schabat Schalom – das Magazin” zu meinem neuen Buch “Nochems neue Namen” und der Geschichte jüdischer Familiennamen interviewt. Der Podcast ist jetzt online auf: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Schabat-Schalom-17-September-2021,audio970904.html und wird heute, Freitag 17. September 2021, um 20:30 Uhr bei NDR Info gesendet.
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Buchveröffentlichung: Nochems neue Namen
Ich freue mich über die Veröffentlichung meines Buchs:
Johannes Czakai, Nochems neue Namen. Die Juden Galiziens und der Bukowina und die Einführung deutscher Vor- und Familiennamen 1772-1820, Göttingen 2021 (=Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, 55).
Aus dem Ankündigungstext des Verlags:
Ende des 18. Jahrhunderts nahmen hunderttausende Juden in den österreichischen Provinzen Galizien und Bukowina neu geschaffene deutsche Familiennamen an. Johannes Czakai legt nun die erste umfassende wissenschaftliche Studie vor zu diesem bis heute prägenden Kapitel jüdischer Geschichte, über das bislang nur Anekdoten bekannt waren. Aufbauend auf zuvor unbekanntem Archivmaterial folgt der Autor dem Leben und den wechselnden Namen des jüdischen Kleinhändlers Nochem aus Lemberg und zeigt, wie die neuen Namen dazu beitrugen, die jüdische Lebenswelt in Ostmitteleuropa nachhaltig zu transformieren. Die Namensannahme stellt sich als widersprüchlicher Prozess dar, der vor allem der Ausbildung staatlicher Kontrollmechanismen diente. Juden waren jedoch keineswegs nur passive Empfänger dieser Politik, sondern verstanden es, die Zwangsmaßnahme für sich zu nutzen. Johannes Czakai ergründet die nicht nur teils verblüffende Geschichte hinter den neu kreierten Namen, sondern eröffnet zudem einen originellen Blick auf jüdisch-staatliche Interaktionen in der sich modernisierenden Habsburgermonarchie.
https://www.wallstein-verlag.de/9783835350175-nochems-neue-namen.html
Sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Heinrich Goldemund und seine familiäre Herkunft
Der wohl berühmteste Vertreter der Familie Goldemund war der Wiener Stadtbaudirektor Heinrich Goldemund (1863-1947). Als Stadtplaner war er mit für die Gestalt der expandierenden Kaisermetropole verantwortlich und wirkte von 1913 bis 1920 schließlich als Stadtbaudirektor. All diese Stationen seines Lebens sowie seine spätere Sympathie für das NS-Regime lassen sich vielfach nachlesen[1] und sollen hier nicht wiederholt werden. Uns interessiert an dieser Stelle vielmehr seine familiäre Herkunft sowie die faszinierende Verbindung zu all den anderen Goldemunds in Wien, Österreichisch-Schlesien sowie in verschiedenen Kronländern der Donaumonarchie. Ich freue mich über Ergänzungen und Korrekturen.[2]
Heinrich Goldemund wurde am 13. August 1863 in der überwiegend tschechisch geprägten mährischen Kleinstadt Kojetín (deutsch Kojetein) als uneheliches Kind geboren.[3] Seine Mutter war Anna Kotek (1837-1912), Tochter des Kojetíner Schusters Martin Kotek (Kottek) und dessen Frau Veronika Nowak. Sein gleichnamiger Vater Heinrich Goldemund (1838-1888) diente zu diesem Zeitpunkt als Feuerwerker in der k.u.k. Armee. Wann genau seine Eltern heirateten, ist mir bislang nicht bekannt, doch es muss spätestens sechs Jahre nach seiner Geburt geschehen sein, denn 1869 wurde er als Heinrichs Sohn legitimiert. Etwa in dieser Zeit müssen die Eltern nach Wien gezogen sein, wo sein Vater Heinrich seit 1875 in den Adressbüchern nachweisbar ist. Dort wirkte dieser bis zu seinem Tod als Dekanatsdiener der medizinischen Fakultät an der Universität Wien.
Vater Heinrich stammte aus Hotzenplotz (Osoblaha), einer Kleinstadt, die als mährische Exklave an der Grenze zum preußischen Teil Schlesiens lag. Dort wurde er 1838 als Sohn des Schuhmachermeisters Augustin Goldemund (1793-1867) geboren. Seine Mutter Johanna Visconti (um 1795-1873) stammte aus einer völlig anderen Region und auch Konfession.[4] Ihr Vater Alexander Visconti war als Maler im preußischen Magdeburg tätig, wo er 1786 Bürger der Pfälzer Kolonie geworden war. Sein Name verweist darauf, dass der eigentliche Ursprung der Familie in Italien lag und er vermutlich aus einer Waldenser-Familie stammte.
Augustin Goldemund hatte außer Heinrich mindestens fünf weitere Kinder, von denen drei eigene Familien gründeten:
* August Goldemund (um 1816-1886) war Gutsverwalter in dem Grenzort Endersdorf (Ondřejovice). Er blieb unverheiratet und wurde in seinem Haushalt von seiner ebenfalls ledigen Schwester Emilie Goldemund (um 1819-1879) unterstützt.
* Josef Philipp Rudolf Goldemund (1825-?) führte das Handwerk seines Vaters fort und zog als Schuhmachermeister nach Wien. Hier heiratete er 1860 Katharina Röder aus Oberfranken und hatte mit ihr mindestens vier Kinder.
* Auch Richard Johann Goldemund (1837-1921) wurde Schuhmachermeister, blieb jedoch zunächst in Hotzenplotz. Erst später zog auch er nach Wien, wo uns u. a. sein Sohn Paul Goldemund (1872-1957) als Kaufmann begegnet.
* Augustins fünfter Sohn, Rudolf Alexander Goldemund (1834-?), blieb in Hotzenplotz und Umgebung. Hier war er in der Lokalverwaltung tätig, wurde zunächst Schriftführer in Liebenthal (Liptaň) und Reserve-Korporal beim 1. Genie-Regiment. Ab 1868 war er Stadtsekretär in Hotzenplotz. Sein Sohn Rudolf Robert Goldemund (1865-?) war in den 1890er Jahren als Ingenieur in Schweden aktiv und zog 1896 nach Norwegen. Ein Enkel Rudolf Alexanders, Emil Rudolf Goldemund (1886-1959) lebte in Graz. Von dessen Söhnen wanderten zwei, Rudolf Goldemund (1912-?) und Viktor Goldemund (1913-?) nach Brasilien aus und begründeten den dort bis heute bestehenden Familienzweig.
Offensichtlich kannten sich die Goldemund-Vettern in Wien. So war der Sohn des Stadtbaudirektors, Dr.-Ing. Heinrich Goldemund (1897-1989), Trauzeuge bei seinem Vetter 3. Grades, dem Ing. Paul Goldemund (1906-1941, Sohn des Kaufmanns Paul).
Doch der soziale Aufstieg hatte nicht erst mit den Kindern Augustins und deren Umzug von der Peripherie in die Hauptstadt Wien begonnen. Sein gleichnamiger Vater Augustin Goldemund (1756-1843), also der Urgroßvater des Stadtbaudirektors, war Lehrer in den Dörfern Bartelsdorf (Bartultovice) und Waissak (Vysoká) und verfügte somit bereits über eine über den Durchschnitt hinausreichende Bildung, die er sicherlich seinen Kindern und Enkeln mit auf den Weg gab. Schon sein Sohn Joseph Goldemund (1796-nach 1854) trat in den Staatsdienst ein. Nachdem er Zollaufseher in Deutsch Paulowitz (Slezské Pavlovice) gewesen war, wechselte er 1827 als Amtscontrolleur der k. u. k. Grenzpolizei nach Jägerndorf (Krnov) und später als k. u. k. Hauptzahlamts-Einnehmer nach Olmütz (Olomouc).
Ein anderer Sohn des Lehrers Augustin, Johann Goldemund (1779-?), wurde Syndikus und erster Magistratsrat in Hotzenplotz. Auch dessen Söhne traten Beamtenlaufbahnen ein:
* Heinrich Goldemund (1824-?) als k. u. k. Bezirksgerichtskanzlist in Hotzenplotz. Gegen ihn wurde 1861 wegen Diebstahls und Unterschlagung ermittelt.
* Johann Nepomuk Goldemund (1829-1902) zog in die Hauptstadt Wien und wurde dort zunächst k. u. k. Ober-Telegrafist und später Postcontrollor. Seine Kinder waren ebenfalls als Telegrafistinnen und Postbeamte tätig.
* Wilhelm Goldemund (1826-?) lebte zunächst in Troppau (Opava). Um 1853 zog er als Finanzbeamter nach Ungarn, wo er zunächst Amts-Praktikant und kurz darauf Kanzlei-Assistent III. Klasse in Eger (deutsch Erlau) war. Von dort wechselte er 1857 als Assistent nach Budapest (sowohl in Buda als auch in Pest), wo er später zum Linienamts-Controllor und Hauptamts-Offizial befördert wurde. Er folgte vermutlich seiner älteren Halbschwester Adelheid Goldemund (um 1808-?), die mit dem Verwalter Franz Appel verheiratet war und spätestens seit 1837 in Ungarn lebte. Um die Mitte des Jahrhunderts waren die Goldemunds somit in mindestens vier Kronländern im Staatsdienst tätig.[5]
Der Lehrer Augustin selbst stammte aus Röwersdorf (Třemešná) und war Teil der dort weit verzweigten Familie. Zu den weiter entfernten Verwandten aus diesem Ort gehörten der Advokat Dr. Franz Goldemund (1830-1897), der 1873-79 und 1882-85 Bürgermeister der Bezirkshauptstadt Jägerndorf war, sowie der Wiener Kriminalbeamte Ottokar Goldemund (1883-1979). Die Präsenz der Familie in Röwersdorf geht auf Augustins Urgroßvater Hanß Goldemund (den Jüngeren) (1662-?), zurück, der 1696 als Schneider von Liebenthal nach Röwersdorf gezogen war. Mit diesem gemeinsamen Vorfahren schließt sich der Kreis zu meiner Seite der Familie.[6]
Anmerkungen:
[1] Siehe u. a. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Heinrich_Goldemund.
[2] Auffällig an der vorliegenden Aufstellung ist, dass sie sich vorrangig auf die männlichen Mitglieder der Familie Goldemund konzentriert. Ich fühle mich etwas unwohl, so eine patriarchale Sicht auf das Konzept „Familie‟ zu reproduzieren. Doch gab es in den genannten Familien tatsächlich nur wenige Töchter und über diejenigen, deren Namen bekannt sind, lassen ich aufgrund der Quellenlage kaum weitere Informationen sammeln, als Angaben zu ihren Ehen und ihren Ehemännern.
[3] Der Übersichtlichkeit halber werde ich nicht jedes Ereignis und Datum genau belegen. Die Quellen für alle Angaben in diesem Artikel sind vornehmlich die Matriken der jeweiligen Orte, Adressbücher der Stadt Wien, Amtsblätter, Schematismen und zeitgenössische Zeitungen. Bei Nachfragen gebe ich gerne detailliert Auskunft.
[4] Mit Ausnahme von Johanna und ihren Eltern waren alle in diesem Artikel genannten Personen katholischer Konfession.
[5] Bislang nicht zuordnen ließ sich der Finanzbeamte Julius Goldemund. 1850 begegnet er uns als Kadett beim 22. Illirischen Inf.-Reg. in Triest; bis 1855 war er Finanzwach-Aufseher in Großwardein, danach Steueramts-Kanzlei-Assistent II. Kl. 1869 arbeitete er als Notariatsadjunkt im ungarischen Visegrad.
[6] Zu Hanß Goldemund und dessen weiteren Vorfahren siehe Ahnenliste, Nr. 1408.